LOHNE (CSW). Wie ein Brennglas hat die Corona-Pandemie im Jahr 2020 den Fokus auf die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigrantinnen und -migranten in Deutschland gelegt. Der aktuelle Jahresbericht 2020 der Beratungsstelle für Arbeitsmigranten des Caritas-Sozialwerkes St. Elisabeth in Lohne (CSW) zeigt deutlich auf, dass auch im Oldenburger Münsterland mobile Beschäftigte weiterhin beispielsweise mit rechtswidrigen Kündigungen, unterschlagenen Stunden bei gefälschten Arbeitszeitaufzeichnungen oder ungerechten Lohnabzügen für unwürdige Unterkünfte zu kämpfen haben.
"Die Fallzahlen sind weiter angestiegen. Es kommen nicht mehr nur Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten zu uns. Wir stellen einen signifikanten Anstieg des Familiennachzugs im Rahmen unserer Rechtsberatung fest, den wir versuchen, in die bestehenden Begleitungssysteme überzuleiten." So lautet das Fazit des CSW-Beratungsteams, dem 2020 Josef Kleier, Belal Elsayed, Marcella Bohlke und Maresa Wolbers angehörten. 2021 ist Elisabeth Vodde-Börgerding für Maresa Wolbers zum Team gestoßen.
Die zwei Beratungsteams in Cloppenburg und Lohne beraten seit Februar 2018 Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten im Oldenburger Münsterland in schwierigen Beschäftigungs- und Wohnverhältnissen in Rechtsfragen.
Das Angebot ist niedrigschwellig, kostenfrei und auch grundsätzlich mit muttersprachlicher Unterstützung möglich. Kostenträger sind die Landkreise Cloppenburg und Vechta sowie das Bischöflich Münstersche Offizialat in Vechta.
Mählmann: "Das Beratungssystem bleibt notwendig"
Das Projekt war zunächst auf drei Jahre befristet. Der Vorstandsvorsitzende des CSW, Heribert Mählmann, wirbt jedoch angesichts der weiterhin bestehenden Notlagen und Entwicklungen für eine langfristige Fortsetzung des Mandats. Im Zuge der neuerlichen Antragstellung hatte das CSW das Konzept der Rechtsberatungsstelle auf Wunsch der Kostenträger noch einmal überarbeitet. So wurde aus dem 2017 ursprünglich beim Landes-Caritasverband für Oldenburg entstandenen Papier das "Beratungskonzept 2.0".
"Die Fortsetzung unserer Arbeit ist notwendig - zum Wohle der Region! Die Zuwanderung von Arbeitskräften vor allem im Niedriglohnsektor bleibt ein Faktor hier bei uns und damit eine dauerhafte Aufgabe. Mithin braucht das System mit all seinen Problematiken auch die Begleitung mittels Beratung und Hilfe. Diese Hilfe ist im besten Sinne "Not-wendig", sagt Mählmann.
Die Zahlen verdeutlichen es. Im Jahr 2020 verzeichnete das CSW 318 Beratungsfälle und damit 42 Fälle mehr als noch im Jahr zuvor (2019: 276, 2018: 140). Jeder einzelne Fall ging oftmals mit einer Vielzahl von Beratungsgesprächen einher. Ein Großteil der Ratsuchenden kam aus Rumänien, gefolgt von Menschen aus Syrien, Bulgarien, Afghanistan, Polen, dem Irak und sonstigen Staaten. Sie waren vornehmlich in Schlachthöfen, aber auch in der Reinigungs-Branche, in der Logistik, in der Landwirtschaft (saisonal), im Baugewerbe, in der Gastronomie und in anderen Bereichen tätig. Längst berät das CSW nicht mehr nur Werkvertragsarbeiter (17 Fälle), sondern inzwischen auch Beschäftigte im Angestelltenverhältnis oder aus der Arbeitnehmerüberlassung. 55 Prozent der Menschen, die beraten wurden, lebten mit ihren Familien hier vor Ort. Bei 29 Prozent befand sich die Familie im Heimatland. 16 Prozent machten hierzu keine Angabe.
In einem gemeinsamen Grußwort heben die Landräte Johann Wimberg (Landkreis Cloppenburg) und Herbert Winkel (Landkreis Vechta) sowie Dr. Gerhard Tepe (Bischöflich Münstersches Offizialat) im Jahresbericht die Bedeutung der Beratungsstelle hervor: "Das Ziel, menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen für alle zu schaffen, bleibt hochaktuell. Das Bischöflich Münstersche Offizialat und die Landkreise Cloppenburg und Vechta werden auch in Zukunft Verantwortung für diese Aufgabe übernehmen."
Lohnabrechnungen ein Schwerpunkt
In ihren Schilderungen zu konkreten Fällen beschreibt das Beratungsteam sehr eindringlich die vielschichtigen Notlagen, mit denen mobile Beschäftigten zu ihnen kommen. Ein Schwerpunkt in Cloppenburg etwa war 2020 die Überprüfung von Lohnabrechnungen, die oftmals undurchsichtig und lückenhaft sind, berichten Marcella Bohlke und Maresa Wolbers. Während des Corona-Lockdowns habe sich die Kontaktaufnahme und die Überwindung von Sprachbarrieren mitunter noch schwieriger als ohnehin schon gestaltet. So ergänzte das CSW seine auf "Hilfe zur Selbsthilfe" angelegte, persönliche Beratung um ein Telefon- und Onlineangebot, das von den Hilfesuchenden dankend angenommen wurde.
Die Rechtsberatungstätigkeit steht klar im Mittelpunkt der Arbeit des CSW. Jedoch stellt das Team auch grundsätzliche Überlegungen an, um das System und die Integrationsmöglichkeiten für die betroffenen Menschen grundsätzlich zu verbessern. Aus der Feder des Juristen Josef Kleier legte das CSW im April 2020 erstmals ein Papier mit sehr konkreten Ideen, Vorschlägen und Handlungsempfehlungen für die Kommunen, die Unternehmen und nicht zuletzt auch für den Gesetzgeber vor. Kleier: "Wir sind fest davon überzeugt, dass sie sehr wirksame strukturelle Hilfe für die Menschen in diesem System leisten können. Vor allem die Auftrag gebenden Firmen müssen die Werkvertrags- bzw. Zeitarbeitsfirmen stärker vertraglich verpflichten und kontrollieren, geltendes Recht zum Beispiel bei den Arbeitszeiten, der Lohnfortzahlung oder bei den Urlaubsansprüchen einzuhalten."
CSW fordert "Koalition der Willigen"
Dieses Diskussionspapier fand am 8. Mai 2020 Eingang in ein seitens des damaligen Vorsitzenden des AEF (Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland), Uwe Bartels, initiiertes Strategiegespräch zum Thema "Die Beschäftigungsverhältnisse im Oldenburger Münsterland". In einer Videokonferenz vereinbarten die Vertreter der Unternehmen der betroffenen Wirtschaftssektoren, die beiden Landräte Johann Wimberg (Cloppenburg) sowie Herbert Winkel (Vechta), Offizialatsrat Bernd Winter, sowie Heribert Mählmann und Josef Kleier (beide CSW) eine entsprechende Selbstverpflichtungserklärung der beteiligten Unternehmen.
Das CSW-Team fordert: "Wir brauchen diese nachhaltige Koalition der Willigen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit einer entsprechenden Haltung zum Thema Arbeitsmigration. Diese gemeinsame Haltung ist notwendig, um zu einem Umdenken zu kommen - und die Situation der Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten nachhaltig zu verbessern."
Die Politik hat inzwischen reagiert. Ende Juli 2020 legte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Entwurf eines Arbeitsschutzkontrollgesetzes vor, das zum 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist. "Es ist ein erster Schritt, der auf Verbesserungen hoffen lässt, aber noch nicht weit genug reicht. So fehlt der individuelle Anspruch auf die Arbeitszeitaufzeichnungen, die Kontrolldichte ist viel zu gering, und Fragen zur Unterbringung der Menschen sind im Gesetz nur unzureichend geregelt. Deshalb werden wir das Thema weiter intensiv beobachten und uns für die Stärkung der Rechte aller Arbeitsmigranten in prekären Beschäftigungsverhältnissen einsetzen", sagt Josef Kleier.
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Weitere Informationen unter:
www.caritas-sozialwerk.de/hilfe-und-beratung/beratungsstelle-fuer-werkarbeiter
Den Jahresbericht in gedruckter Version erhalten Sie auf Anfrage beim CSW: dziondziak@caritas-sozialwerk.de
Kontakt der Beratungsstelle:
werkvertragsarbeit@caritas-sozialwerk.de
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